Quo vadis Radlhauptstadt? Trägt München den selbstgewählten Titel zu recht?

Der damalige grüne Bürgermeister Hep Monatzeder hat im Jahr 2007 die internationale Radverkehrskonferenz „Velo-City“ nach München geholt. Die weit über 900 Teilnehmenden waren sich schnell einig: München biete unter anderem dank seiner topographischen Gegebenheiten allerbeste Voraussetzungen fürs Radfahren und habe auch schon erste gute Schritte in der Radverkehrsförderung gemacht. Die Rad-Infrastruktur müsse aber noch kräftig ausgebaut werden.

Aus dieser Erkenntnis folgte 2009 der „Grundsatzbeschluss Radverkehr“ mitsamt der ehrgeizigen Zielsetzung, dass man Deutschlands „Radlhauptstadt“ werden wolle. 2010 folgte die gleichnamige Kampagne, die den Münchnerinnen und Münchnern seither vermitteln soll, dass ihr Umstieg aufs Rad gewünscht und offiziell begrüßt wird. Geht man nach dem Modal Split, also dem Anteil aller Radfahrten am Gesamtverkehr, steigen auch tatsächlich immer mehr Menschen aufs Rad anstatt ins Auto oder in Bus und Bahn: Die aktuellste offizielle Erhebung steht zwar noch aus, es ist aber sehr sicher, dass sich der Radverkehrsanteil in den letzten 15 Jahren verdoppelt hat.

Leider hält jedoch der Infrastrukturausbau mit dieser Steigerung nicht mit und Geschwindigkeiten und der Platzbedarf der Radfahrenden sind sehr unterschiedlich: Lastenräder, Radanhänger und E-Bikes benötigen neben herkömmlichen Drahteseln Platz auf den Radwegen, zum Überholen und zum Abstellen. Die herkömmlichen Radwege sind dafür zu schmal und das Radwegenetz innerhalb Münchens und ins Umland ist noch immer ein Flickenteppich und häufig unsicher und/oder unbequem.

Solange ein klares Bekenntnis zum zügigen Ausbau des Radwegenetzes und ein stimmiges Konzept fehlen, hilft es wenig bis gar nichts, dass der Stadtrat in seiner neuen Zusammensetzung die Radlhauptstadt-Initiative verlängert und die Radverkehrspauschale auf 10 Millionen Euro im Jahr verdoppelt hat. Die Leute fühlen sich zu Recht verschaukelt, wenn der Aufforderung aufs Rad zu steigen, keine Taten folgen, dies auch zu unterstützen!

Im Stadtrat ist man sich weder einig, was man beim Rad-Infrastruktur-Ausbau will, noch ob man es überhaupt will. Das zeigen unter anderem die Rücknahme der Umbaupläne für die Rosenheimer Straße, das extreme Zögern bei der Anordnung von Radfahrstreifen oder die Sperrung der Radlerfurt am Marienplatz ohne Schaffung einer sinnvollen Alternativroute. Radverkehr ist in keinem Bürgermeisterbüro verortet und somit keine „Chefsache“ mehr und die 2014 beschlossene Stelle eines oder einer Radverkehrsbeauftragten ist noch immer unbesetzt. Die CSU fordert „eine strikte Trennung der Verkehrsarten“, die SPD weiß hingegen anscheinend gar nicht so recht, was sie will. Gebaut wird folglich nichts. Das Geld aus der Nahmobilitätspauschale fließt seit 2014 vornehmlich in Unterhaltsmaßnahmen der bestehenden Radinfrastruktur. Verbesserungen oder Ausbau gibt es hingegen kaum. Kein Wunder, dass die Radlhauptstadt-Initiative längst mit dem Vorwurf kämpft, eine leere Hülle zu sein.

Und obgleich der bayerische Verkehrsminister Joachim Hermann schon 2012 bei einer Sitzung der AGFK Bayern verkündet hat, er würde den Bau eines Radschnellweges zwischen Garching und der Münchner Innenstadt begrüßen und dafür auch Geld in die Hand nehmen, obwohl es für die Radroute nach Garching schon sehr gute Teilstrecken gibt, die sich mit wenig Aufwand umbauen ließen, obwohl der Regionale Planungsverband 2015 eine Potenzialanalyse mit 13 möglichen Radschnellweg-Korridoren in München erarbeitet hat und obwohl die Umlandgemeinden sich äußerst aufgeschlossen zeigen, wurde seitens der Stadt München kürzlich gerade mal eine Machbarkeitsstudie für die Strecke nach Garching in Auftrag gegeben.
Um herauszufinden, wie es anders ginge, sind wir einer Einladung der Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte, Kreise und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen (AGFS) nach Essen gefolgt, um den ersten deutschen Radschnellweg zu testen und seine Erbauer und Planer zu befragen.

Wo ein Wille ist, ist auch ein (Radschnell-)Weg

Straßen und ÖPNV in und um München sind längst an ihrer Kapazitätsgrenze: Staus und überfüllte, unpünktliche Busse und Bahnen prägen den Alltag. Besonderes Problem: Es fehlen sogenannte Tangentialverbindungen, also Querverbindungen, die nicht radial aufs Münchner Zentrum führen. Gleichzeitig sind drei Viertel der täglichen Pendlerfahrten kürzer als 15 Kilometer. Ideal für das Fahrrad! Noch mehr Radverkehr wäre eine platzsparende und schnell realisierbare Lösung, um Mobilität zu sichern: Schließlich steigt die Bevölkerungszahl in der Region rasant. Aber wie bekommt man mehr Radverkehr? Schauen wir nach Nordrhein-Westfalen!

Dort hat man die Zeichen der Zeit erkannt und setzt voll auf das Fahrrad. Damit mehr Menschen es gerne nutzen, will das Land NRW die Infrastruktur ausbauen. Es soll einfach, schnell und bequem sein, damit in die Arbeit, zur Ausbildung oder zum Studium zu pendeln. Das Aushängeschild vieler Maßnahmen ist der Radschnellweg RS1 quer durch das Ruhrgebiet. 52.000 Autofahrten sollen durch den Bau des 101 Kilometer langen RS1 von Duisburg nach Hamm täglich (!) ersetzt werden. Das sind 400.000 gefahrene Kilometer pro Tag! Die Kosten liegen bei knapp 200 Millionen Euro – ein kleiner Bruchteil der Kosten eines vergleichbar leistungsfähigen Straßen- oder Schienenweges, denn der Nutzen-Kosten-Faktor ist mit 4,8 extrem gut.
15 Kilometer des RS1 sind bereits fertiggestellt und wir haben bei einer Testfahrt die Strecke erkundet: Geradlinig, kreuzungsfrei, gut beschildert, mit Leihradstationen versehen und mit viel Platz zum Überholen kommt man erstaunlich schnell voran zwischen Innenstädten, Einkaufszentren und Arbeitsplatzschwerpunkten wie dem Thyssen Headquarter. Eine echte Alternative zu ÖPNV und Auto. So macht Radfahren Spaß!

Positive Erfahrungen mit Radschnellwegen gibt es nicht nur an der Ruhr, sondern auch in Braunschweig, Göttingen, Dänemark und den Niederlanden. Außerdem wollen auch London und Paris massiv in den Aus- und Neubau von Radl-Highways investieren, um so ihre massiven Verkehrsprobleme in den Griff zu bekommen.

Und München? Der Ausbau guter, alltagstauglicher Radwege steckt in den Kinderschuhen. Wer heute radelt, ist noch immer gezwungen, sich im Zickzack zwischen Autos und Fußgängern, Schranken und Pollern, Ampeln, Schildern und Einmündungen durchzukämpfen. Meist ohne Winterdienst und ausreichende Beleuchtung. Ein alltagstaugliches, attraktives und geradliniges Radwegenetz für den Weg zur Arbeit, das Pendlern in Stadt und Umland eine echte Alternative bietet, ist nicht oder nur punktuell vorhanden.

Fazit: Radverkehr ist flächensparend, leise, gesund, kostengünstig und umweltfreundlich, also ideal für den innerstädtischen Verkehr. Doch nur mit dem Ausbau der guten Radinfrastruktur inklusive dem Bau von Radschnellwegen wird es gelingen, eine vollwertige Alternative zu ÖPNV und Auto für den Alltag zu schaffen. Wird das weiter verschlafen, heißt die Radlhauptstadt Deutschlands sicher schon sehr bald nicht mehr München!

von Bernadette-J. Felsch (Beisitzerin ADFC München, Beisitzerin OV Schwabing, Mitglied im Programmausschuss des Münchner Forums) und  Markus Büchler (Bezirksvorsitzender Kreisverband München-Land, Kreisrat München)