Bis Ende Juli hatte Donald Trump noch reelle Chancen, US-Präsident zu werden

Unser Münchner Bundestagsabgeordneter Dieter Janecek hat während der vergangenen zwei Wochen die Ostküste der USA bereist. Er schildert seine Eindrücke zur Startphase des US-Wahlkampfs.
Democratic Donkey auf den Rocky Steps in Philadelphia: Dutzende hiervon waren während der DNC in Phildaelphia im Stadtgebiet postiert.

„Warum das Reiseziel USA, was verbindet dich mit dem Land?“

Democratic Donkey auf den Rocky Steps in Philadelphia: Dutzende hiervon waren während der DNC in Phildaelphia im Stadtgebiet postiert.

Meine Mutter war bereits 1964/65 als damals 18-jähriges Mädel von einem niederösterreichischen Bauernhof für ein komplettes Austauschjahr in Kalifornien. Das war damals nur knapp zwei Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg noch etwas Außergewöhnliches, sie wurde sogar mit ihrer Gruppe von Präsident Lyndon B. Johnson im Garten des Weißen Hauses empfangen. Freundschaftliche Verbindungen unserer Familie in die USA sind bis heute erhalten geblieben. Auch zwei meiner engsten Freunde und Bekannten sind in den vergangen Jahren ausgewandert. So haben wir diesen Sommer die Gelegenheit ergriffen, sie zu besuchen und unseren Urlaub mit einer kleinen politischen Bildungsreise zu den historischen Stätten der US-Geschichte an der Ostküste von Boston bis Virginia zu verbinden.

„Euer Reisezeitraum fiel exakt in die Zeit der Conventions von Republikanern und Demokraten. Welche Eindrücke hast du hiervon mitgenommen?“

Am Tag der Rede von Hillary Clinton waren wir in Phildelphia am Ort der Demokratischen Convention. Der Bereich um die Convention herum war natürlich hermetisch abgeriegelt, aber mit einzelnen Delegierten sind wir dann doch ins Gespräch gekommen. Eine Woche zuvor hatte Donald Trump in Cleveland auf der Republikanischen Convention mit einer sehr düsteren und auf Spaltung der Gesellschaft ausgerichteten Ansprache vorgelegt und in einigen landesweiten Umfragen den Rückstand auf Clinton eingeholt. Entsprechend angespannt war die Stimmung, zumal die Beliebtheitswerte von Clinton in der Bevölkerung deutlich ausbaufähig sind. Im ganzen Land herrscht eine starke Anti-Establishment-Stimmung, und mehr Establishment als Clinton verkörpert eben kaum jemand. Trump hat seine ganze Kampagne auf diesen Hass und diese Wut insbesondere der männlichen weißen Mittelschicht und Abgehängten aufgebaut. Und er hat es wie kaum ein anderer geschafft, über Wochen und Monate die News-Cycles zu dominieren.

JFK Library in Boston: Als man in Wahlkämpfen noch weitgehend auf persönliche Beleidigungen verzichtete und nicht nur eine, sondern zwei echte Persönlichkeiten zur Wahl standen.

Auch deshalb haben die Demokraten Trump trotz seiner offensichtlichen inhaltlichen Schwächen als Gegner durchaus ernst genommen. Die vier Tage der Democratic Convention wurden somit von führenden Größen der Partei wie Barack Obama bis Running Mate Tim Kaine genutzt, um Trumps Reputation als Unternehmer, vor allem aber seine charakterlichen Eigenschaften und seine Kompetenz als Führungsperson in Frage zu stellen. Und dann stand noch die Frage im Vordergrund, wie man die Sanders-Anhänger mit Clinton versöhnen kann.

„Wie spürbar war diese Spaltung bei den Demokraten zwischen Clinton und Sanders-Anhängern?“

Sanders hatte gleich am ersten Abend der viertägigen Convention seinen großen, eminent wichtigen Auftritt. Meine Frau und ich haben das Ganze live im TV in einem Pub in Maine zusammen mit Sanders-Anhängern verfolgt. In dem Moment, in dem Sanders ca. 15 Minuten nach Beginn seiner sehr emotionalen Rede seine Unterstützung für Hillary Clinton bekannt gegeben hat, gab es Buhruhfe, eine Frau hat angefangen zu weinen. Man muss wissen, dass die Frustration gerade der politischen Linken und insbesondere der jungen Generation in den USA ungeheuer groß ist. Sanders hatte allen, die gegen die seit Jahrzehnten fortschreitende soziale Spaltung, gegen die Militarisierung der Außenpolitik, gegen den Einfluss von Big Money auf Repräsentantenhaus und Senat eingetreten sind, eine kraftvolle und glaubwürdige Stimme gegeben. Selbst Präsident Obama hat der „Feel the Bern“-Revolution dann in seiner Parteitagsrede Respekt gezollt.

Clinton hat versucht, mit einer möglichst progressiven Agenda z.B. für höhere Mindestlöhne, besseren Umweltschutz und dem Absenken der horrenden Studiengebühren ein Angebot an die Sanders-Anhänger zu machen. Jetzt mit dem Abstand von zwei Wochen weiß man auf Basis der neusten Umfragen, dass es ihr wohl durchaus gelungen ist, einen Großteil der Sanders-Anhänger mit sich zu versöhnen. Wobei der Hauptgrund der Versöhnungsanstrengungen wohl auch in der gemeinsamen Ablehnung von Trump liegt. Dabei gibt es in den Politikansätzen von Trump und Sanders sogar mindestens eine sehr relevante Schnittstelle, und zwar die Ablehnung von Freihandelsabkommen, insbesondere dem Transpazifischen TPP. Clinton hat sich in der jüngsten Vergangenheit zwar auch hiervon distanziert, aber die größten Handelsliberalisierungen fallen nunmal in die Amtszeit ihres Mannes.

„Was glaubst du nun, wie geht die Wahl im November aus?“

Ohne Worte

Man muss sich nichts vormachen, ein Sieg von Trump wäre eine Katastrophe sowohl innen- wie außenpolitisch. Dieser Mann agiert skrupel- und gewissenlos, meines Erachtens leidet er auch an einer besonderen Form von narzisstischer Störung, anders sind seine ständigen Ausfälle und sein übersteigertes Aufmerksamkeitsbedürfnis kaum erklärbar. Und nach meiner Einschätzung hatte Donald Trump bis Ende Juli durchaus noch reelle Chancen, US-Präsident zu werden. Die sozialen Verwerfungen im Land, die Handlungsunfähigkeit des Kongresses sowie der berechtigte Eindruck, dass große Konzerne mit ihren Spenden massiv Einfluss nehmen, hat überall verständlichen Frust erzeugt. Sicherlich sind die Republikaner an dieser Entwicklung mit ihrer Blockadepolitik der letzten Jahrzehnte mehr schuld als die Demokraten. Doch zumindest zeitweise ist es Trump gelungen, diese Wut gegen beide etablierten Parteien für sich zu kanalisieren, zusammen mit den Abstiegsängsten der Weißen. Die Medienlandschaft in den USA ist zudem so zersplittert, dass vieles was in liberalen Mediennetzwerken wie dem landesweiten Radiosender NPR, der Washington Post und der New York Times relevant ist, bei den Heartland Americans gar nicht ankommt. So lebt jeder in seiner eigenen Realität in diesem ziemlich komplizierten Melting Pot, genannt USA.

Gleichzeitig muss man aber auch wissen, dass entgegen manch verbreiteter Vorurteile in Deutschland die klare Mehrheit der US-Amerikaner gemäßigte Wertvorstellungen hat und eine entsprechend gemäßigte und auf Kompromiss ausgelegte Politik will. Der Schulterschluss innerhalb der Demokraten und ihre durchaus progressive sozial-ökologische Agenda hat dazu geführt, dass man der auf Zerstörung, Rassismus und Spaltung ausgerichteten Politik von Trump eine positive Vision und Versprechen eines gerechteren Amerika entgegen setzen konnte. Das scheint mir entscheidender für den Umschwung in den Meinungsumfragen zugunsten von Clinton als die teils hanebüchenen taktischen Fehler von Trump, insbesondere seine Beleidigung der Familie eines gefallenen Gold Star Soldaten. Es scheint so, als ob das progressive Amerika im November die Überhand behalten wird, vielleicht sogar mit einem Erdrutschsieg und Mehrheiten im Repräsentantenhaus und Senat. Aber Gott bewahre, wenn dann den Ankündigungen keine Taten folgen.